#61 Chamonix: Mer de Glace – (K)ein Meer aus Eis

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Inzwischen werden direkt aus dem Bett heraus früh morgens bestimmte Nationalitäten im Geiste beschimpft, die im Rudel als Mithotelgäste besonders nerven. Immerhin sind die kurzen Nächte so still, dass man die Läuse husten hört.

In Ermangelung von Wanderausrüstung schlägt SL ein Multipass-Ticket für zwei Tage vor, womit wir die Berge links und rechts des Tals mit der Gondel und Zahnradbahn erobern könnten. Das lohnt sich schon bei einer Zahnradbahn- und einer Gondelfahrt. Generell sind die Preise aber heftig. Wir machen eine kurze Lagebesprechung in einem süßen Café und entscheiden uns für das Ticket. Der charmante Café-Inhaber bereitet nicht nur einen Weltklasse-Kaffee zu, sondern lobt auch unsere Französischkenntnisse und antwortet auf unsere Aussage, dass wir ja echt nix können uns aber bemühen, dass er genau dieses schätzt.

Da SB kein Fan von Gondelfahrten ist, wollen wir bei Kaiserwetter mit der Zahnradbahn nach Montenvers, um von 1913 m Höhe einen Blick auf das Meer aus Eis, den Gletscher „Mer de Glace“, zu erhaschen. Wir schäkern etwas mit der Dame am Ticketschalter und nach kurzer Wartezeit dürfen wir ans Gleis. Die Zahnradbahn – ein knallroter Zug mit zwei Wagen – ist voll, eine Maske tragen außer uns nur noch wenige. Rappelnd bewegen wir uns teilweise steil die knapp 5 km hinauf.

Wir zuckeln schön am Berg entlang und später durch einen Tunnel hindurch. Seit 1908 gibt es dieses Vergnügen, anfangs unter Bedenken der heimischen Bevölkerung (sie befürchteten Verlust der Arbeitsplätze für Bergführer und Maultiertreiber, die bisher die Gäste nach oben gebracht hatten). Oben an der Endstation befinden sich das Grand Hôtel du Montenvers, ein großer Souvenirladen und ein Selbstbedienungsrestaurant. Also besser dreht man sich direkt um und genießt das Panorama.

Was heißt genießen, der Gletscherrückgang ist hier so deutlich, dass es auch sehr beklemmend ist.

Das Eismeer ist mit 7 km Länge, 40 km2 Fläche und 200 m Dicke (so die offizielle Website) Frankreichs größter Gletscher. Das können wir so kaum glauben. Es gibt noch eine Gondel hinunter zum Gletscher, genauer gesagt wo früher der Gletscher noch war, aber die nehmen wir nicht. Stattdessen schlängeln wir uns auf einem steilen Pfad abwärts, der aufgrund einer Baustelle nochmal 30 min länger dauert.

Hier flanieren wir alleine und können die Umgebung genießen.

Unglaublich, dass der Gletscher vor nicht allzu langer Zeit viel höher und länger war. An ein paar Felsen sind Plaketten mit Jahreszahlen angebracht, die den jeweiligen Stand dokumentieren. Da sehen wir auch schon die „Talstation“ der Gletschergondel.

Aber immer noch sind wir weit entfernt vom Eis. Geröll und Felsen dominieren die Ansicht. Wir treten ein paar Schritte auf der Aussichtsplattform nach vorne und sehen endlich, wofür alle Touris hierherkommen: die Eisgrotte im Gletscher. Unter weißen Planen abgedeckt, zig Höhenmeter und ca. 580 Stufen unter uns, liegt sie da wie ein verendeter Wal… genauso traurig ist dieser Anblick. Nun geht es mit sehr vielen anderen Leuten die Stufen abwärts, auf einer teils abenteuerlichen Konstruktion. SB blutet das Bauingenieursherz beim Anblick der kruden Stahlbetontreppen. Ein zweites Mal geht sie da ganz bestimmt nicht mehr runter.

Der Gletscher hat sich soweit zurückgezogen, dass wir mehrheitlich in die Geröllwüste schauen. Das Tempo des Gletscherrückzugs ist erschreckend. Im 19. Jahrhundert war der Gletscher gemessen bei der Montenvers Bahnstation noch rund 140 m höher. Seit 150 Jahren zieht sich das Eis zurück. 2 km kürzer ist er seitdem. Jedes Jahr verliert er an Höhe (4-5 m), so dass die Stufen beständig erweitert werden müssen. (Zahlenquelle: Wikipedia)

Unten angekommen erwartet uns am Gletscher die Eisgrotte, die jedes Jahr neu ins Eis gehauen wird. Wir betreten diese nur auf wenigen Metern ins Innere. Das Wasser tropft und läuft von allen Seiten und oben auf dem Gletscher wird wohl mit der weißen Plane versucht, die Hitze von der Grotte abzuhalten. Seitlich wird auch schon gegen Unterspülung gearbeitet. Man bekommt eine unangenehme Gänsehaut, wenn man das betrachtet. Aber mit dieser Stimmungslage sind wir wohl relativ alleine, denn es sieht ganz so aus, als ob alle anderen um uns herum dieses Spektakel „cool“ finden.

Nun geht es die 580 Stufen wieder hoch. Im Übrigen muss man ab 2025 diese Strapaze nicht mehr bewältigen… man baut dort oben nämlich tatsächlich gerade einfach eine neue Gondel, dem fliehenden Gletscher hinterher …

Es ist heiß, wir fahren mit der Gondel wieder hoch zum Bahnhof und nehmen schon mal in der fast leeren Zahnradbahn Platz.

Zurück nach Chamonix geht es mit tollem Blick auf die andere Bergseite.

Wieder im Tal haben wir ein Hüngerchen und scheitern bei der Wahl eines Bistros/Restaurants mal wieder an unseren eigenen Ansprüchen. Also ab in eine Boulangerie und anschließend in die Eisdiele.
Die Motive in Chamonix wiederholen sich, aber das Licht ist jetzt schöner.

Frisch gestärkt beschließen wir unseren Multipass nochmal zu nutzen und SL quatscht so lange auf SB ein, bis wir beide in der Gondel zur Planpraz Station sitzen – der Bergseite gegenüber des Mont Blancs. Die Aussicht ist umwerfend.

Wir genießen länger die Aussicht, die Stimmung und den Blick auf die zahlreichen Gleitschirmflieger, dann geht es auch schon wieder runter. An der Station wird noch ein Absacker auf den schönen Tag getrunken und dann schlagen wir uns zu Fuß abseits der gepflasterten Wege zurück zum Hotel. Hier muss SL auch wieder zum Abschluss das x-te Foto vom Mont Blanc knipsen.